Neurodivergenz-bestätigende Unterstützung basiert auf dem Neurodiversitätsparadigma
Strategien der Neurodiversitätsbewegung
Die Strategien, Methoden, Ziele und Effektivität der Neurodiversitätsbewegung sind eng mit ihrer Entstehungsgeschichte verknüpft.
Neurodivergenz und Diskriminierungskritik
Die zentrale These des Neurodiversitätsparadigmas ist, dass Neurodivergenz in einer Dynamik von sozialer Unterdrückung, Marginalisierung und Diskriminierung situiert ist.
Weitere Fragen und Antworten
Unter FAQ finden Sie weitere Informationen zum Neurodiversitätsmodell.
Das Neurodiversitätsparadigma, ein notwendiger Wandel
Wir befinden uns in einem Wandel: weg von vorherigen, defizitären Annahmen über (bestimmte) Neurominderheiten (z.B. über autistische Personen) und hin zu Personen-zentrierten, passenderen Theorien, Modellen und Praxis.
Diese Theorien, Modelle und Praxis basieren auf sozialen und menschenrechtlichen Modellen von Behinderung, die Intersektionalität und soziale Dynamiken von Ausschluss, Diskriminierung, Bullying, Vorurteilen und nicht-gedeckte Unterstützungsbedarfe berücksichtigen.
Der Wandel schreitet in unterschiedlichem Tempo an unterschiedlichen Orten voran, was zu teilweise sehr großen Unterschieden in Forschung, Ausbildung und Fachpraxis führt. Er wird primär durch neurodivergente Personen selbst, durch ihre kollektive Wissensgenerierung, Bildungsarbeit, politische Arbeit (Advocacy), (Fach)Praxis und Forschung, also der heterogenen Neurodivergenzbewegung, herbeigeführt.
Anlass für diese kollektive Arbeit ist, dass vorherige Theorien nicht - oder in wichtigen Aspekten nicht (ganz) - zutreffen, und diese Diskrepanz zu Haltungen, Praktiken und Angeboten führt, die nicht ganz passend, hindernd, schädlich bis hin zu körperverletzend (z.B. MMS) sind.
Das Neurodiversitätsparadigma ist also ein sozialpolitischer Rahmen für Veränderung, der ursprünglich von autistischen Personen entworfen wurde, weil der bisherige Rahmen neurodivergenten Personen nicht gerecht wird, schädliche Folgen für ihre Rechte und Möglichkeiten, Teilhabe, Selbstbestimmung und Wohlbefinden hat, und nicht weiter (er)tragbar ist.
Dabei wird festgestellt, dass nicht-zutreffende Annahmen (und hindernde
Praxis) entstehen, wenn neurotypische Prozesse als Standard gesetzt* werden.
Da die heterogene Neurodiversitätsbewegung vor über 30 Jahren zunächst mit autistischen Personen begann, existiert in Bezug auf autistische Neurodivergenz inzwischen eine sehr große Bandbreite an erprobten Theorien, Modellen und Strategien.
Diese Erkenntnisse führen in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß zu Veränderungen.
Neurodivergente Diagnostiker*innen, Ärzt*innen, Therapeut*innen, Lehrer*innen, Ausbilder*innen, Dozent*innen etc. setzen diese Erkenntnisse, Strategien und Modelle in der Fachpraxis und Bildung -in Austausch mit der Basisarbeit in neurodivergenten Räumen - um und etablieren dadurch eine respektvolle Praxis die mit existierenden Diagnostikschlüsseln und - Werkzeugen, sowie Ausbildungsstandards und Auflagen umsetzbar ist.
Neurodivergente Forscher*innen und Dozent*innen etablieren Standards für Neurodivergenz-bestätigende Forschung und Lehrgänge, dekonstruieren nicht-zustimmende Annahmen und beeinflussen dadurch zunehmend die Forschung und Praxis anderer.
Diese gezielte Arbeit erreicht, dass nach und nach nationale Diagnostikrichtlinien aktualisiert werden, mehr Personen als neurodivergent erkannt werden, Forschung, Fachpraxis und Bildungspraxis insgesamt angepasst werden, der Umgang mit neurodivergenten Personen sich ändert.
Was derzeit als Konsens angesehen wird unterscheidet sich in der ausbildenden, forschenden, diagnostizierenden, therapierenden und unterstützenden Praxis allerdings teilweise sehr, so dass weitere Bildungsarbeit zusammen mit weiteren Anpassungen von Diagnostikkriterien,- Prozessen und -Praxis zu den Zielen der Neurodiversitätsbewegung gehört.
Dabei wird weiterhin davon ausgegangen, dass mehr Personen neurodivergent sind, als bisher (vor allem bei angeborenen Neurodivergenzen) erkannt wird, und dass andere Unterstützung und Möglichkeiten notwendig sind, als derzeit oft angeboten wird.
"Nicht-zutreffende Annahmen"
* "Neurotypische Prozesse als Standard gesetzt" - was ist gemeint?
Wenn neurotypische Kognition und Körperfunktionen als funktionaler Standard gesetzt werden, beeinflusst das Verständnismöglichkeiten und Ansätze. In der Medizin z.B. führt eine Zentrierung der Anatomie, Körperfunktionen und Symptomatik bei weißen, nicht-behinderten (Cis) Männern dazu, dass abweichende Präsentationen bzw. Erkrankungen anderer Gender weniger erforscht, erkannt, therapiert oder präventiv behandelt werden.
Hier kann das z.B. so aussehen:
Wir wissen heute mehr
Wir haben mehr Kenntnisse. Und dadurch haben wir andere, effektivere, respektvollere und nachhaltigere Unterstützungsmöglichkeiten und Strategien.
Ein Teil dieser Kenntnisse und Strategien fließt in meine Arbeit ein.