Neurodivergente junge Menschen und Spiel

Es begeistert mich zutiefst,  wie junge neurodivergente Menschen selbstbestimmt spielen, lernen, sozialisieren und Kompetenzen entwickeln, wenn Barrieren abgebaut und sie kompetent und respektvoll unterstützt werden.

Es ist mir ein sehr wichtiges Anliegen, tatsächlichen Raum für ihr Spiel und Mitspielen zu schaffen und dafür Kompetenzen, Neurodivergenz-basiertes Verständnis und Kompetenzen im Umfeld zu schaffen, dass solche Räume (mit)gestaltet.

Respektvoller, sicherer Raum für neurodivergentes Spiel

Die unterschiedlichen Arten wie neurodivergente und vor allem autistische junge Menschen spielen, wurden - und werden je nach Kenntnisstand weiterhin - als dysfunktional und defizitär diskutiert, vielfach pathologisiert, abwertend interpretiert oder gar nicht erst als Spiel anerkannt. Diverse therapeutische Ansätze basieren auf der Idee, dass es notwendig ist, jungen autistischen Personen, PDAer*innen oder Personen mit AD(H)S typische/normative Spielkulturen - bzw. adultistische Vorstellung von typischem Spiel - anzutrainieren, damit sie zu einem späteren Zeitpunkt (bessere) Chancen auf Teilhabe und Komptenzerleben haben. Dabei wird nicht verstanden, woher die natürlichen Spielmpulse und -Bedarfe eigentlich kommen, welche Funktionen sie erfüllen und warum Abweichungen und Störungen eben als so dysregulierend erlebt werden.

In der Regel entscheiden hier nicht-neurodivergente ältere/ erwachsene Personen, dass bessere Teilhabe durch möglichst viel Anpassung erreicht wird, mit dem Ziel, dass neurodivergente Personen in Zukunft möglichst normative Unterstützungsbedarfe haben, obwohl solche Auslegungen diskriminierend (u.a. im Sinne der UN Behindertenrechtskonvention) sind, langfristig zu schlechtem psychischen Wohlbefinden und eingeschränkter Teilhabe führen.

Natürliche Spielweisen und -Kulturen von jungen neurodivergenten Personen sind für sie ähnlich entwicklungsfördernd im Sinne von physischer, kognitiver, senso-motorischer und emotionaler Entwicklung wie typisches Spiel das für typische junge Menschen auch ist.

Gleichzeitig entstehen häufig gerade rundum diese Spielweisen Konflikte und gerade hier fehlt es an Kompetenzen im Umfeld, angemessene Räume für diese Spielarten zu schaffen.

Ein Bereich dieser Konflikte ist zukunftsbezogen. Je mehr Barrieren, Invalidierung, nicht erkannte senso-motorische Differenzen, regelmäßige Überreizung, nicht-selbstgewählte Alltagsgestaltung und je weniger Autonomie und Raum für die eigenen Prozesse und Bewegungsbedarfe junge neurodivergente Menschen erleben, desto weniger können sie Abweichungen von ihren Spielideen und Bedarfen aushalten und desto mehr zukunftsgerichtete Befürchtungen, Sorgen oder Kathastrophalisierungen erleben Bezugspersonen/Umfeld.

Selbst wo aktuell keine Konflikte mit dem Umfeld auftreten und es Eltern/Begleitpersonen situativ gut möglich wäre, sich entsprechend auf diese Spielideen einzulassen bzw. sie zu ermöglichen, haben sie teilweise den Impuls (bzw. erhalten von außen dringende Empfehlung) Spielabläufe intentional abzuwandeln bzw. voraussichtlich frustrierende Spielverläufe herbeizuführen mit der Absicht, dem jungen Menschen so ein "aushalten" und "anpassen" beizubringen. In meiner Arbeit begegnet mir sowohl vonseiten von Fachtherapeut*innen, als auch von Eltern/Familie eine Version der Sorge "aber was, wenn das immer so bleibt?" oder "wenn wir jetzt mitmachen/Lösungen im Sinne der jungen Person finden, dann lernt sie ja nie ...".

Hier helfen adultismuskritische und Neurodivergenz-bestätigende Informationen und kollektiv gesammelte Erfahrungen über andere, effektivere, respektvollere und natürliche Lernprozesse und normabweichende Entwicklungsphasen. Eltern und Fachpersonen empfinden es oft als beruhigend (und spannend) Zugang zu diesen Erfahrungen und Strategien, zu erhalten und mitzubekommen, dass diese durch fachpraktische Ressourcen und Forschung solide untermauert werden.

Ein anderer Bereich, in dem Konflikte rundum neurodivergente Spielweisen auftritt, sind Situationen mit verschiedenen jungen Menschen, bei denen Spielbedarfe erstmal nicht zusammen zu passen scheinen.

Hier ist es besonders wichtig, soziale und senso-motorische Einflüsse auf die jeweiligen Begegnungen zu verstehen. Häufig haben Personen im Umfeld den Eindruck, dass junge neurodivergente Personen - unangemessener Weise - erwarten würden, dass das gesamte Umfeld sich ihren Bedarfen anpasst, und es entsteht ein Eindruck von Benachteiligung anderer. Gerade hier ist es erforderlich, dass begleitende Personen ausreichend Einblick in die tatsächlichen Grunddynamiken haben.

Raum für Spiel ist oft durch Adultismus eingeschränkt. Tatsächlicher Raum für neurodiverses Spiel, in dem Spielkulturen und -Bedarfe junger neurodivergenter Personen mitgedacht werden, ist kaum existent. Autistische Personen, PDAer*innen und Personen mit Aufmerksamkeitsdifferenzen/AD(H)S verarbeiten primär mit - immer auch in Abhängigkeit der situativen Energieressourcen und je nach Regulation bzw. Akkumulation von Überreizung - durch den Filter ihrer (unserer) Neugier, ihres tiefen Fokus, ihrer Begeisterung ("Spezialinteressen").

In neurodivergenten Räumen sprechen wir von "autistischer Liebessprache" (autistic love language) und beschreiben damit Verbindungen und Interaktionen, die wir durch das Teilen unserer Begeisterung und unserer (fundierten) Perspektive auf unsere aktuellen Interessensthemen (*das Wort trifft es nicht ausreichend) eingehen.

Gerade für monotropisch verarbeitende junge Menschen (wie autistische Personen, PDAer*innen und Personen mit Aufmerksamkeitsdifferenzen/AD(H)S) ist Spiel äußerst intim und vulnerabel, eine immer wieder neue, hoffnungsvolle Anfrage, Platz für die eigenen Gedanken, Prozesse, Ideen um unsere Begeisterungen herum zu kriegen. Spiel, Spielabläufe, monotropische Begeisterungen sind zutiefst persönliche Manifestationen unserer Identitäten und untrennbar (oder nicht empowernd trennbar) von unserem sozialen und sensorischem Erleben.

braucht aber - gerade aufgrund sonstiger Barrieren und Invalidierungserfahrungen - Neurodivergenz-informiertes Einlassen und entsprechend kompetente Spielbegleitung.

Je nach Akkumulation von Stressoren sind abweichende Spielverläufe oder Unterbrechungen - was Teilen und Abwechseln häufig bedeutet - phasenweise äußerst dysregulierend und disruptiv. Solange Neurodivergenz-bestätigende Kompetenzen im Umfeld fehlen, Spielräume und Alltagsgestaltung unbewusst Neuronormativität zentrieren, und es aufgrund verschiedenen Prozesse und Spielbedarfe regelmäßig zu Konflikten und Dysregulation rund um Unterbrechungen im Spiel kommt, müssen für Situationen andere respektvolle Lösungen gefunden werden. Das kann auch für Bezugspersonen - gerade wenn weitere angemessen Unterstützung im Umfeld fehlt - durchaus herausfordernd sein.

Allerdings trifft die Annahme, dass zukünftige soziale Teilhabe, Resilienz und Gemeinschaftserleben durch Antrainieren von Ertragen/Aushalten (von Veränderung/Unterbrechung, Teilen/Abwechseln) effektiv gefördert würden, nicht zu und ignoriert Hintergründe und tatsächliche Funktionen von Spielbedarfen, bei denen eine Realisation der spezifischen, intendierten Spielabläufe ohne Unterbrechung und Abweichung zentral ist.

Resilienz, Stresstoleranz, Zugriff auf Kooperations- und Kompromissfähigkeiten, werden Trauma-informiert und nachhaltig unterstützt durch (Co-)Regulation, ein sensorisch und interaktionell passendes Umfeld ("autism+environment=outcome(s)") sowie sicheren, respektvollen Raum für neurodivergente Spielbedarfe,  Begeisterung und eigene Entwicklungsprozesse.

Mein eigener Weg zu Adultismus- und Neurodivergenz-informiertem Mitspielen

Als adultistisch geprägter, älterer (erwachsener) Mensch ist es auch meine Aufgabe, gelernte adultistische Impulse in Bezug auf junge Menschen zu erkennen und durch gerechtere Lösungen zu ersetzen. Es bleibt ein Prozess. Eine der schönsten Konsequenzen von solchen, Adultismus-kritischen Lernprozessen ist für mich, dass ein anderes, respektvolleres Einsteigen in Spieleinladungen möglich wird.

Ich habe immer schon gerne gespielt und nachdem ich meine Jugend, die wie für sehr viele autistische/neurodivergente junge Menschen ohne angemessene Unterstützung sehr belastet war, buchstäblich überlebt habe, hatte ich als inzwischen erwachsener Mensch ich in sozialen Situationen mit verschiedenen Generationen oft am meisten Spaß - und Bindung - mit jungen Menschen (Kindern).

Allerdings war mein Mitspielen lange Zeit nicht wirklich Adultismus-reflektiert. Vielleicht kennen Sie oder kennst Du das: ich bin mit viel Elan und Animation in Spielsituationen eingetaucht, habe selbstverständlich meine vielen, eigenen Ideen eingebracht und entweder nicht mal gemerkt, dass ich das Spiel sprichwörtlich an mich riss oder schätzte das als Ausdruck meiner Zugewandtheit und Kreativität an. So sah das eben aus, wenn Menschen gut mit Kindern konnten, dachte ich.

Inzwischen spiele ich anders mit, und obwohl ich mich vorher schon theoretisch und praktisch mit Adultismus auseinandergesetzt hatte, ist mein persönlicher Lernprozess vor allem durch sehr junge autistische Personen und PDAer*innen mit Aufmerksamkeitsdifferenzen/ AD(H)S) angestoßen. Auch wenn das heute noch nicht bedeutet , dass ich immer in der Lage bin, mich mit Bindung, Aufmerksamkeit, Neugier und Adultismus-frei auf Interaktionen einlassen kann, mein Zugriff auf meine Ressourcen ist durch diverse Faktoren geprägt.

Worauf ich hinaus will: Ich habe immer schon begeistert Zeit mit jungen Menschen verbracht, ich selbst - und durchaus auch andere Menschen - hätte(n) mich als eine jungen Menschen sehr zugewandte Person beschrieben. Selbst als ich ein vergleichsweise fundiertes Verständnis von Diskriminierung und mich intensiver mit Adultismus beschäftigt hatte, hätte ich eingeschätzt, dass ich in Interaktionen wenig - oder nicht? (ich erinnere mich nicht mehr so ganz)- adultistisch, also schon recht Adultismus-kritisch wäre.

Erst durch intensive, mehrjährige Beschäftigung mit Aspekten des Neurodiversitätsparadigmas und mit der Intersektion von Adultismus und Neuronormativität und alltäglichem Transfer in Kontakten mit jungen neurodivergenten Personen und PDA*erinnen erkenne ich das Ausmaß der Rolle, die mein (Mis)Verständnis, meine Gestaltung und Wissenslücken hatten - und haben.

Ich denke heute Neuronormativität, Wahrnehmungslücken und eigenen Adultismus in meinen Interaktionen zumindest deutlich mehr mit und habe gleichzeitig Zugang zu anderen Modellen und Alltagslösungen. Und der Unterschied ist groß.

Durch diesen Lernprozess erleben nicht nur junge Menschen und ich selbst mehr Sicherheit, Begeisterung (Joy) und - ich finde keine besseren Worte - wirklich tolle Bindung; ich bin dadurch deutlich besser in der Lage, natürliche Lernkompetenzen und tatsächliche Kooperationsangebote zu erkennen und tatsächlichen Raum für sie zu schaffen. Vor allem plane und gestalte ich dadurch Situationen im Alltag, bei Treffen und sozialem Miteinander mit anderen Personen, bei Ausflügen, Terminen etc. anders, erkenne weitere Barrieren und kann insgesamt leichter und angemessener Unterstützung anbieten.

Mein Lernprozess ist nicht repräsentativ, aber auch nicht singulär.

Kompetenzen für angemessene Spielbegleitung und Raumgestaltung

Wenn das Verhalten und Erleben von neurodivergenten jungen Menschen besser verstanden wird (und erahnt wird, welche Auswirkungen Missverstanden-Werden und Invalidierung haben), öffnet das Türen für Heilung, Freude (Joy), Begeisterung, Bindung und Sicherheit. Für eine Art von Miteinander, Teilhabe, Veränderung, Lust und Abenteuer, die ansonsten manchmal unmöglich wirken. Für wunderbare Begegnungen, Entwicklungen, Kompetenzen. Vor allem für Freude.

Die Begeisterung von autistischen Personen/PDAer*innen und Personen mit AD(H)S ist intim, zutiefst persönlich, voller Möglichkeiten – wenn sie verstanden wird. Wenn ausreichender, Barriere-armer, respektvoller Raum vorhanden ist.

Durch Platz für neurodivergentes Spiel und Begeisterung, für selbstbestimmtes Lernen und Entwicklung, durch Verstehen und Abbauen von Barrieren, durch kompetente Begleitung und respektvolle, informierte Angebote ohne (unbewusste) Manipulation, Bestrafung/Belohnung oder Erwartungshaltung, durch Sicherheit  und Co-Regulation können neue neuronale Verknüpfungen und Handlungspläne entstehen.

Natürliche - oder fachlich unterstützte - sensorische Integration, ein Ausbau der "brain-body connection" mit Verknüpfungen zwischen Neurokognition und Bewegungen, Resilienzaufbau und Kompetenzerwerb finden dadurch respektvoll und effektiv statt.

Ich begeistere mich dafür, Raum für diese Sicherheit, Validierung und Spiel zu schaffen, und das Umfeld von jungen neurodivergenten Personen auf ihrem Weg dorthin zu unterstützen. Vor allem begeistert es mich zutiefst, wie junge neurodivergente Menschen selbstbestimmt spielen, lernen, sozialisieren und Kompetenzen entwickeln, wenn Barrieren abgebaut und sie kompetent und respektvoll unterstützt werden.