Mein Ansatz ist „Autismus-positiv“. Das bedeutet, ich berücksichtige einerseits die im Rahmen des Neurodiversitätsparadigmas erarbeitete Kritik an defizit-basierter Autismusforschung und zentriere andererseits Theorien, Strategien und Modelle, die von autistischen Personen erarbeitet, wissenschaftlich bestätigt und fachpraktisch erprobt wurden (und werden).

Abgrenzung von defizit-basierten Annahmen

Ein wichtiger Ausgangspunkt ist entsprechend, dass oft weiterhin als Konsens geltende kognitivistische Annahmen nicht oder nicht wie vorgestellt zutreffen:
Schwierigkeiten autistischer Personen entstehen nicht aufgrund von generellen kognitiven Defiziten in Bezug auf soziale Kommunikation, Imagination und Interaktion oder Theory of Mind, Vorstellungsvermögen, Empathiefähigkeit und soziale Motivation; autistische Personen sind nicht insgesamt und Kontext-unabhängig geistesblind (es stimmt also nicht, dass (alle) autistischen Personen (generell) einzigartige Schwierigkeiten haben, Intentionen anderer Personen zu verstehen, während andere Personengruppen diese nicht haben); es trifft nicht (grundsätzlich und generell) zu, dass (alle) autistischen Personen Mimik und Ton gänzlich nicht verstehen, selbst eine monotone Prosodie und Mimik haben, keinerlei Augenkontakt halten, kein bildliches Vorstellungsvermögen haben, unkreativ sind, keine Rollenspiele spielen, Freude nicht teilen, keine Freund*innen haben können, nicht an sozialer Interaktion interessiert sind, strickt getaktete (vorgegebene) Zeitpläne brauchen, etc.

Bunte Farbklekse und Farbverläufe mit viel Blau, Cyan, Magenta, Grün, Gelb, Rot, Schwarz und Weiß auf schwarzer Leinwand. Es handelt sich um bearbeitete Fotos von Bildern, die von einem jungen neurodivergenten Menschen gemalt wurden.
Bunte Farbklekse und Farbverläufe mit viel Blau, Cyan, Magenta, Grün, Gelb, Rot, Schwarz und Weiß auf schwarzer Leinwand. Es handelt sich um bearbeitete Fotos von Bildern, die von einem jungen neurodivergenten Menschen gemalt wurden.

Neurodivergenz-bestätigender Ansatz

Stattdessen gehe ich auf der Basis etablierter (autistischer) Forschung, Arbeit und (Fach)Praxis davon aus, dass unerkannte Barrieren verschiedener Art einen wesentlich größeren Einfluss auf Verhalten, Interaktion, Kommunikation, Spieldynamiken, Lernen und Kompetenzerwerb haben, als üblicher Weise angenommen wird. Dazu gehören Barrieren in sozialen, unbewusst ausgrenzenden Dynamiken aufgrund von fehlenden, Neurodivergenz-bestätigenden Informationen und Kompetenzen – insbesondere in Bezug auf Spielbegleitung und Alltagsgestaltung; unbewussten Bias, Abwertung und Invalidierung; Schwierigkeiten von nicht-autistischen Personen gegenüber autistischen Personen in Bezug auf Theory of Mind, Geistesblindheit, Empathievermögen, Verständniskompetenzen, Rapport und Verstehen von Mimik sensorischen, physischen und motorisch-bedingten Barrieren und ihre Auswirkungen auf Lernen, Verhalten, Spiel und Interaktion.

Ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt darin, basierend auf aktuellen Neurodivergenz-bestätigenden Erkenntnissen aufzuzeigen, welche Faktoren einen Einfluss auf Erleben und Teilhabe haben, nicht (ausreichend) erkannt werden, welche Konsequenzen das hat, welche Möglichkeiten informierte, angemessene Unterstützung eröffnet und wie sie aussehen könnte.

Sensorische und Motorische/Bewegungsdifferenzen

Ausgehend von aktuellen Erkenntnissen, dass die meisten autistischen Personen sensorische Verarbeitungsdifferenzen und neuromotorische Differenzen haben. Ohne Neurodivergenz-informierte und darauf basierende neurowissenschaftliche Einblicke ist es nicht möglich, normabweichendes sensomotorisches Erleben und Barrieren ausreichend zu erkennen oder zu verstehen, so dass Umfeld - ohne autistische Personen selbst - andere Erklärungen und Annahmen finden. Wenn sensomotorische Differenzen und ihr Einfluss auf Teilhabe, Kommunikation, Lernen, Spiel und Interaktion nicht verstanden werden, kommt es zusätzlich zu Invalidierungserfahrungen, sensorischen Schmerzen, sensorischen Traumata und einer zunehmenden Erschöpfung von Kapazitäten.

Sensomotorische Differenzen gelten zunehmend als zentrales Merkmal autistischer Neurodivergenz (und ebenfalls als zentral für PDA und AD(H)S /Aufmerksamkeitsdifferenzen). Es ist mir daher ein sehr großes Anliegen, sensomotorische Zusammenhänge aufzuzeigen und auf dem Weg zu notwendiger, Neurodivergenz-informierter Unterstützung, Validierung und Veränderung im Umfeld zu begleiten.

„Autistisches Spiel“

Ich setze einen weiteren Schwerpunkt auf Neurodivergenz-und Adultismus-informierte Einordnungen von selbstbestimmtem Kompetenzerwerb. Spiel - und soziales Erleben rund um Spiel - sind diesbezüglich zentral. Ich gehe davon aus, dass „autistisches Spiel“ ebenso Entwicklungs- und Kompetenzfördernd für autistische junge Menschen ist, wie normatives Spiel es für typische junge Menschen ist, dass respektvoller Raum für neurodiverse Spielkulturen gerade für autistische junge Menschen entscheidend ist aber aufgrund von fehlenden Informationen, Modellen und Kompetenzen im Umfeld kaum existiert. Veränderung rund um Verständnis und Begleitung von autistischen Spielkulturen und -Bedarfen liegen mir sehr am Herzen, nicht nur, weil mich "neurodivergente Spielkulturen" sehr begeistern, sondern auch, weil durch solche Veränderungen Raum für mehr Sicherheit, Bindung und Begeisterung möglich wird.

Anforderungsvermeidung, Entscheidungsüberforderung und Performance-Anxiety

Stereotype und defizit-basierte Einordnungen setzen bei Abwehrreaktionen junger autistischer Personen auf verschiedene Anforderungen an und versuchen über (visualisierte) Pläne, Regeln und Abläufe eine Abnahme solcher Reaktionen bzw. Aufbau von Sicherheit zu bewirken. Wenn junge autistische Menschen auch auf solche Maßnahmen mit Abwehr bzw. mit für das Umfeld wahrnehmbaren Stressreaktionen reagieren, kommt es oft zu Verunsicherung bzw. zu weiteren ungünstigen Maßnahmen.

Für angemessene und nachhaltige Alltagsgestaltung und Unterstützung ist ein akkurateres Verständnis verschiedener Bedarfe, Hintergründe, Zusammenhänge und Dynamiken Voraussetzung. Hierzu zählen Hintergründe für den erhöhten Bedarf an Vorhersehbarkeit, Routinen und Selbstbestimmung, Erkennen von internalisierten und externalisierten Stressreaktionen, Verständnis von sozialen (und adultistischen) Dynamiken, sowie Kenntnis von unterschiedlichen Formen von Anforderungsvermeidung (demand avoidance - auch unabhängig von PDA), Entscheidungsüberforderung (decision anxiety) und Performanceängste (performance anxiety).

Kommunikation

Ich ordne Echolalie, Palilalie, Geräuchstims und Skripte funktional ein, berücksichtige abweichende Spracherwerbsentwicklung im Sinne von Gestalt Language Processing, und berücksichtige die diskriminierungskritische Bildungsarbeit und Empfehlungen nicht-sprechender autistischer junger Menschen insbesondere in Bezug auf Barrieren und motorische/Bewegungsdifferenzen, ihre deutliche Kritik an verbreiteteren Therapieformen, sowie Empfehlungen und Erkenntnisse aus Neurodivergenz-bestätigender Fachpraxis.

Andere Ansatzpunkte

Durch Neurodivergenz-basiertes Verständnis und aktuellere Erkenntisse ergeben sich andere Ansatzpunkte für Umfeldarbeit mit einem Fokus auf Einordnungen, Validierung, Vorstellen von kollektiv erarbeiteten Lösungen und Strategien, und Kompetenzbildung (bei Familienmitgliedern, Lehrer*innen, Therapeut*innen, etc); für psychische Anpassung des Umfelds und von Abläufen; für aktivere, Adultismus-berücksichtigende Unterstützung von sensorischen Regulations- und Integrationsprozessen, Unterstützung für motorische Differenzen sowie Ansatzpunkte für Beratung und Fortbildungen für Fachpraktizierende.

Durch eine Reihe weiterer Werkzeuge, Erfahrungen, Theorien und Modelle unterstütze ich dadurch je nach Bedarf u.a. Selbstkenntnis (bzw. Kenntnis/Verständnis der Barrieren und Bedarfe des jungen Menschen), Selbstfürsprachestrategien („Aufgrund von xyz brauche ich/kann nicht abc“), Energie-Management, Abbau-von Barrieren, Resilienzbildung, Stigma-Reduktion, besseren Selbstwert und psychisches Wohlbefinden, Kompetenzerwerb und Kompetenzerleben.

Bunte Farbklekse und Farbverläufe mit viel Blau, Cyan, Magenta, Grün, Gelb, Rot, Schwarz und Weiß auf schwarzer Leinwand. Es handelt sich um bearbeitete Fotos von Bildern, die von einem jungen neurodivergenten Menschen gemalt wurden.
Bunte Farbklekse und Farbverläufe mit viel Blau, Cyan, Magenta, Grün, Gelb, Rot, Schwarz und Weiß auf schwarzer Leinwand. Es handelt sich um bearbeitete Fotos von Bildern, die von einem jungen neurodivergenten Menschen gemalt wurden.

Ergänzende Stichpunkte

  • Senso-motorische Differenzen/Dyspraxie/motorische Apraxie, motorische Disinhibition
  • sensorische Dysregulation, sensorische Schmerzen/Trauma
  • sensorische Überreizung, Meltdowns und Shutdowns
  • situativ nicht-sprechend vs. verbaler Shutdown
  • Dysregulation und Co-Regulation des Nervensystems
  • Autistisches Spiel/autistische Begeisterung/autistische Liebessprache
  • Kommunikationsstile- und Differenzen
  • Präsentation/Auswirkung von Hyperempathy
  • Präsentationen und Auswirkungen von Aphantasie bis Hyperphantasie
  • Masking, autistisches Burnout
  • Autistisches Burnout/Barrieren in Bezug auf Schule
  • Schwierigkeiten in exekutiven Funktionen als Folge von Barrieren, Burnout und nicht-behandelten Erkrankungen
  • Energy-Management, Resilienzbildung, Stigma-Management
  • Potential und empowernde/schützende Komponenten von autistischen Peer-Interaktionen und Zugang zu autistischen Räumen/Gemeinschaften
  • autistische Neurokultur(en)
  • Stimming
  • Begeisterung/ autistic joy
  • Co-Occurencies/gleichzeitig auftretende, häufig nicht-erkannte Erkrankungen