Anpassungen machen einen Unterschied

Wir reden oft von „fluktuierender Behinderung“ um zu beschreiben, dass viele autistische/ND Menschen in manchen Situationen bestimmte Aktivitäten scheinbar problemlos „können“ und in anderen Situationen dieselben Aktivitäten nicht oder nur schwer ohne Unterstützung schaffen bzw. aushalten.

Dabei suggeriert die Formulierung, dass bestimmte Fähigkeiten grundsätzlich und statisch fehlen, bzw. dass Unterstützungsbedarfe und Behinderung daraus resultiert, dass bestimmte Kompetenzen und Fähigkeiten grundsätzlich nicht (mehr) vorhanden sind.

So wird Behinderung im Kontext von autistischen Menschen häufig aufgefasst. Das macht es schwer zu verstehen, wie es sein kann, dass autistische Personen in der einen Situation bestimmte Aktivitäten und Rahmenbedingungen scheinbar problemlos oder mit wenig Unterstützung) meistern und in anderen Situationen dieselben Aktivitäten und Rahmenbedingungen großen Stress und Unterstützungsbedarf hervorbringen.

Ich spreche – und schreibe – daher von „fluktuierendem Zugang zu Kompetenzen/Kapazitäten/Fähigkeiten“. Dadurch wird zum einen signalisiert , dass Behinderung in diesem Kontext kein statisches Vorhandensein oder Fehlen von Fähigkeiten/Kapazitäten/Kompetenzen ist. Das hilft zu verstehen, dass der Ansatz, „Fähigkeiten anzutrainieren“ entsprechend nicht passt.

Vor allem erlaubt die Formulierung ein Verständnis dafür, dass der Zugang zu Kompetenzen/Kapazitäten/Fähigkeiten situativ schwankt und von Akkumulationen – von Belastung, von sensorischer Über- und Unterreitzung, von Kompensationsleistungen und Masking im Vorfeld – abhängt.

Dies ermöglicht uns effektivere Gespräche:

Was erschwert oder begünstigt den Zugang zu bestimmten Kapazitäten?

Welche Arten von Akkumulationen sind für die jeweilige Person aktuell relevant?

Wann ist schwindender Zugang zu erwarten?

Was könnte hier helfen?

Welche Faktoren führen zu besonders überlastenden Akkumulationen?

Der Fokus auf einen fluktuierenden Zugang lenkt unseren Blick auf den Vorlauf der Situationen als Kontext, in dem die situativen Schwierigkeiten verstanden werden können:

Wie waren die letzten Minuten/Stunden/Tage/Wochen? Wie reguliert war das Nervensystem der Person im Vorfeld der Situation? Wieviele „unmet needs“ akkumulieren aktuell?

Ein Verständnis von fluktuierenden Zugang ist selbst für den Kontext der „Co-Occurences“, der tatsächlich medizinischen Erkrankungen und Syndrome, die autistische Menschen häufig haben, die aber seltener oder nicht (ausreichend) erkannt werden – wichtig:

Der hypermobile Typ von Ehlers-Danlos-Syndrom interagiert z.B. mit vorhandenen sensomotorischen Differenzen und beispielsweise Sensoren des propriozeptiven Systems.

Das kann z.B. bedeuten, dass ein junger Mensch auf dem Spielplatz selbstständig mobil ist, sogar vergleichsweise viel rennt, springt und klettert, aber auf dem Hin- oder Rückweg nur schwer gegen die Schwerkraft ankommt und getragen/geschoben werden muss.

Ich selbst habe hEDS (und einige andere medizinische Erkrankungen), die dazu führen, dass meine Mobilität und physische Performance innerhalb eines Tages drastisch schwanken. Ich kann eben noch athletisch wirken und wenig später nur einen Bruchteil der vorherigen Bewegungen ausführen.

Da diese Fluktuationen oft schwer zu verstehen sind, habe ich diese hilfreiche Infographik von The Chronically Resilient OT übersetzt.