Barrieren in Spielsituationen und was unter Zuschreibungen liegt (Teil 3, Ergänzung)
Lösungen und Kompromisse finden kann viel Begleitung brauchen und hier kann es herausfordernd sein unbemerkt nicht doch in adultistisch-neuronormative Dynamiken zu verfallen. Eine Idee, dass junge Menschen eigentlich freies Spiel ohne jegliches Einmischen älterer Menschen/Erwachsener brauchen, berücksichtigt Intersektionalität oft nicht. Wenn ältere Menschen – die bei adultismus-kritischem Spiel durch das eigene Verhalten und Lösungssuche vieles modeln – selbst sensomotorische Faktoren und strukturell ungleiche Ausgangsituationen nicht erkennen, können das junge Menschen ohne Begleitung und Modelling oft eben auch nicht. Zusätzlich brauchen vor allem junge neurodivergente Menschen oft eine sichere Begleitung zur Co-Regulation und zur Fürsprache (Advocacy), wenn sensomotorische Faktoren durch das Umfeld nicht bemerkt werden, Invalidierung zu erwarten ist und trotz bester Intentionen nicht wirklich respektvoller Raum für die eigenen Spielweisen und Bedarfe da ist.
Je mehr Adultismus-kritisches und Neurodivergenz-informiertes Modelling und Begleitung junge Menschen erhalten und je mehr Spielkulturen zusammen passen, desto mehr klappt es mit der Zeit auch mit weniger Begleitung.
In Spielsituationen mit den hier besprochenen jungen Menschen (M., T. Geschwisterkind) wirken wir (älteren Personen, z.B. ich) anfangs sehr intensiv begleitend und bereiten äußere Faktoren für Spieltreffen sehr genau vor, gestalten äußere Faktoren vorausschauend mit, vermeiden ungeeignete (vielleicht aber leichtere) Settings und arbeiten eben: an einem Set-Up, in dem die spezifischen jungen Menschen – und wir begleitenden Personen – möglichst gute Chancen haben, in unserem tatsächlichen Anliegen zu interagieren (Situation, die „thriving“ ermöglicht, in dem Barrieren erkannt und mitgedacht werden). Wir haben auch sehr viel in Richtung Modelling und Erkennen der dringenden Bedarfe hinter Verhalten gemacht und dabei unterstützt, Lösungen für unterschiedliche Bedarfe und Interesse zu finden.
Lösungen und Kompromisse finden – oder Gerechtigkeit – wird oft so verstanden, dass alle Personen in jeder Situation die gleichen Angebote/Unterstützung bekommen. „Alle stellen sich an und wer sich Erster angestellt hat, kommt als Erster dran“. „Wer sich als Erste*r xyz ausgesucht hat, kann das behalten egal wie dringend eine andere Person es ebenfalls gerade möchte, wie schwer (bis unmöglich) es situativ für eine andere Person sein könnte, zu warten“, „Alle wechseln sich ab und dürfen auch mal drankommen“. Das bedeuten Gerechtigkeit und Kompromisse finden nicht.
Adultismus- und Neurodivergenz berücksichtigende Begleitung erkennt strukturell und situativ ungleiche Ausgangssituationen, ungleiche Barrieren und ungleich nicht-gedeckte, dringende Bedarfe an. Wenn manche Körper in angespannten Situationen nicht still stehen können, sind Erwartungen, dass sie Anstehen und auf ihre Reihe warten ein , Set-Up-For-Failure, nicht angemessen.
Wenn das Umfeld von solchem Vorgehen (Anstehen) nicht absehen kann (Absehen und anders planen wäre EHER eine Lösung in Richtung Abbau von adultistisch-normativen Barrieren), dann braucht es Begleitung und ausgleichende Lösungen in der ungleiche Ausgangssituationen auf eine respektvolle Art, die dennoch Kompetenzen anerkennt, validiert werden.
„Warten und Anstellen ist wichtig und alle sollten das können, aber Person D bekommt eben eine Ausnahme, weil Person D neurodivergent ist und das deswegen nicht kann“ ist KEIN respektvolles, Kompetenz-anerkennendes Modelling, trifft inhaltlich nicht zu und hält Ableismus und Ausgrenzung aufrecht.
Respektvolles, Kompetenz-anerkennendes Modelling führt jedoch sehr häufig dazu, dass junge Menschen durchaus Zugriff auf ihre Verständniskapazitäten finden, nicht im Sinne von „weil Person D nix kann muss ich ständig Rücksicht nehmen“, sondern im vollen Vertrauen darauf, dass die eigenen dringenden Bedarfe soweit es geht auch erkannt und gedeckt werden, und in voller Erkenntnis dessen, dass die Situationsgestaltung (die Art, wie das Umfeld eine Situation plant) nicht für alle Bedarfe gleich geeignet ist.
Junge Menschen können sehr wohl strukturelle Ungleichheiten und Konzepte von Equity über Equality verstehen, auch ohne großes Theoretisieren.
Posts und Einordnungen wie diese können schnell für mehr parent-blame benutzt werden im Sinne von: wenn junge Menschen vermehrt zu impulsiven, situativ übergriffigem Verhalten neigen, dann liegt das an den Eltern/Bezugspersonen, dann haben die nicht genügend für Sicherheit gesorgt. Strukturelles parent-blame (das so häufig vorkommt, dass es einen Forschungsschwerpunkt für einige neurodivergente Forscher*innen und Kampagnen darstellt) beschreibt einen Vorwurf an Eltern (neurodivergenter/behinderter junger Menschen), dass diese –durch vermeintlich zu viel Nachsicht, Ablösungsschwierigkeiten und fehlende Erziehungskompetenzen – die (normative) Entwicklung und Eigenständigkeit und Kompetenzerwerb ihrer Kinder hindern würden (in dem sie z.B. Co-Regulation anbieten, begleiten, Barrieren benennen und abbauen).
Es ist mir ein Anliegen, auf Faktoren hinter solchem Verhalten hinzuweisen und die Bedeutung von Information, Einblick und Begleitung aufzuzeigen. Aber situativ übergriffiges Verhalten kommt nicht wegen „falscher Erziehungsmethoden“, junge Menschen wachsen nicht im Vakuum ihrer Familien auf. Sicherheit, Anerkennung, Validierung und Aufbau von Adultismus-Neurodivergenz- informierten Kompetenzen im Umfeld sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die nicht auf den Schultern junger neurodivergenter Menschen oder ihrer Familien (allein) liegen und nicht auf den Körpern junger Menschen ausgehandelt werden dürfen.